Gerade lese ich einen Artikel von mir Korrektur (und schäme mich nebenbei ein bisschen für mein immer noch holpriges Englisch). Aber da es wirklich ein ganz spannendes Thema ist, verbreite ich ein paar der Gedanken daraus mal in den unendlichen Weiten des Internets.
Freier Wille – was ist das eigentlich? Brauchen wir das Konzept für die Aufrechterhaltung unserer sozialen Regeln?
Zunächst mal: ich glaube ja nicht an einen Freien Willen im Sinne des Indeterminismus (und wie bei Glaubensfragen immer der Fall kann ich auch gar nicht verstehen, wie man etwas anderes glauben kann als ich…), sondern finde einzig den Kompatibilismus überzeugend. Falls sich dieser immer noch nicht hinreichend herumgesprochen hat: Frei sind unsere Entscheidungen nach dieser Ansicht nicht deshalb, weil wir im Moment der Entscheidung unvorhersehbar oder gar zufällig agieren (Zufall kann keine Basis von Freiheit sein), sondern weil sie Ausdruck unseres Charakters, unserer bis dahin gewachsenen Persönlichkeit und unserer Erfahrungen sind.
Dass wir etwas anderes glauben, also das Gefühl haben, etwas in uns hat diese Entscheidung ganz unabhängig von unserem bisherigen Leben und unseren (unendlich vielen) äußeren wie inneren Determinanten getroffen, liegt m.E. daran, dass wir uns beim Denken der Sprache bedienen. Da wir mittels Sprache alle Singularitäten, denen wir so begegnen, permanent abstrahieren, tun wir das auch mit unseren inneren Prozessen: wir kategorisieren den aus uns selbst heraus determinierten Entscheidungsprozess als „Entscheiden“, und erlangen dadurch das Gefühl, dass wir das unabhängig von unserem vorherigen Ich-Sein tun.
Was heißt das alles nun für das Strafrecht? Nun, abschaffen müssen wir es wohl nicht, auch wenn einige Neuro-Wissenschaftler da anderer Ansicht sind. Auch vom Tatstrafrecht müssen wir uns nicht umfassend verabschieden, kann doch die Tat Anlass zur Bestrafung bleiben – als Ausdruck dessen, wer der Täter in dem Moment der Tat ist. Dennoch hat ein ernst genommener Kompatibilismus für das Strafrecht gewisse Konsequenzen: die Beurteilung der Tat, die möglichen Gründe für Schuldunfähigkeit oder Entschuldigung und die Strafzumessung müssen zum einen den Charakter – und alle anderen Determinanten – des Täters konsequenter einbeziehen, zum anderen gerade überprüfen, inwieweit die Tat überhaupt Ausdruck der Persönlichkeit des Täters war. Das bedeutet gerade nicht die Bestrafung für einen „bösen“ oder „gefährlichen“ Charakter, sondern lediglich die Systematisierung dieser Konzepte.
Aber selbst wenn man den Kompatibilismus für unplausibel hält, erfordert auch eine nicht-normative Beobachtung der aktuellen Gesellschaft wohl eine Neukonzeptionierung bestimmter grundlegender Annahmen – aber die Gedanken hierzu spare ich mich dann doch für die Habil auf…
Du verspürst also beim Übersetzen ins Englische Scham. Warum dieses Gefühl? Später argumentierst Du, dass wir durch die Sprache im Denken und in den inneren Prozessen dahin geleitet werden, permanent zu abstrahieren und uns das Resultat als ein “Gefühl” kategorisieren, wir seien unabhängig vom vorherigen Ich-Sein,
Dann folgere ich: Dir fehlt dieses spezielle “Gefühl”, unabhängig zu sein, da Du sonst kein Schamgefühl hättest wegen der Holprigkeit Deines Englisch (ist doch Ausdruck eines vorheriges Ich-Sein). Damit – so eine mögliche Logik – zeigst Du, dass man sich entscheiden kann (z.B. für eine bestimmte Übersetzung ins Englische) ohne freien Willen. Du bist in der Wort-/Satzbauwahl ja doch Ausdruck Deines Charakters, Deiner Persönlichkeit.
Warum schaffst Du es nicht, dass Du selber glaubst, Du hättest einen freien Willen. Braucht man nicht einen freien Willen, um über einen freien Willen reden zu können?
Was wäre, wenn Du keinen freien Willen hättest? Ist diese Publikation dann noch etwas wert? Ich dachte, dass wir das schon lange wissen und die Wissenschaft nach der Antwort sucht, was ist der freie Wille?
Hättest Du nicht geschrieben, dass Du Dich schämst (ist doch ein Gefühl?), wäre eine mögliche innere Logik konkludenter. Aber so?
Wie kann ein fühlender Mensch Sprache so benutzen, dass sein eigenes Gefühl bei der Beschreibung und der Beurteilung der Entscheidungen anderer (nahezu ?) keinen Einfluss hat? So bleibt der fade Gedanke, dass diese Publikation lediglich der Versuch eines unfreien Willen ist, uns zu suggerieren, man könne den freien Willen erforschen.
Damn!
Naja, zunächst mal schrieb ich, ich schäme mich “ein bisschen”… (gar so schlecht ist es gar nicht, mein Englisch, zumindest nicht so schlecht, dass ich übersetzen müsste
)
Umfassend schämen tue ich mich selten, und wenn, dann ist das eben die anerzogene Reaktion auf sozialinadäquates Verhalten, das wir im Laufe unseres Lebens internalisiert haben (und die von mir beschriebene Kommunikation meines Verhaltens mir selbst gegenüber), das ist ebenso wenig Beweis für einen Freien Willen wie irgendein anderes Handeln. (und “Wissen” gibt es in dem Zusammenhang wohl nie, wir suchen auch nicht danach was der Freie Wille ist – dieser philosophische Streit ist ebenso unlösbar wie viele andere, es gibt da halt einfach nur mehr oder weniger plausibel, keine Sicherheit…)
Die Argumentation, dass ohne Freien Willen nichts mehr einen Wert hätte oder Sinn machen würde, ist in all ihren Versuchen nie wirklich konsequent durchgezogen… Sie geht meines Erachtens von einem nicht überzeugenden Konzept vom Unfreien Willen aus. Insbesondere braucht man keineswegs einen Freien Willen um darüber reden zu können. Wir handeln eben, als hätte es einen Sinn, wir reden über Freien Willen, weil wir damit die vorherigen Kausalketten fortsetzen – diese sind ja nicht nur einfach von außen gesetzt, sondern unsere Rationalisierungsprozesse spielen bei ihnen ebenso eine Rolle wie unsere Emotionen oder genetischen Bedingtheiten. Was sinnvoll ist oder nicht, können wir (auch ohne Freien Willen), ja selbst definieren.
Und ich glaube nicht im Mindesten, dass der Glaube an den Freien Willen irgendetwas mit “schaffen” zu tun hat, ich fühle mich auch so ganz wohl und will da gar nichts schaffen. Es ist im Gegenteil eher schwierig, sich von diesem Konzept zu befreien. Ebenso wenig bedeutet “kein freier Wille”, dass man keine Gefühle mehr haben kann oder diese keine Auswirkungen auf das haben, was wir tun. Sie sind ebenso Bedingungen unseres Handelns wie vieles andere.
Dass ich mich (ein bisschen) schäme, macht also gar nichts. Und nur weil ich keinen Freien Willen habe, bin ich nicht zwingend von irgend etwas abhängig (mehr als wir es halt zum Überleben und Wohlfühlen so sind)… Externe und interne Freiheit sind ja ganz unterschiedliche Dinge…
Hallo erstmal,
vielen Dank für diese interessante Diskussion.
Ich möchte hire kurz (auch beruflich bedingt) einen weiteren Gedankengang hinzufügen, bei dem es um die Frage des “Freien Willens” im Zusammenhang mit “Emotionen” geht:
Stellen Sie sich bitte einmal vor, sie würdem einem Roboter begegnen, der nicht nur 100%ig menschlich (“mit Haut und Haaren”) aussehen, sondern sich auch genauso intelligent verhalten würde. Dieser sagt dann zu Ihnen: “Ich finde es zutiefst beschämend, dass meine Entwickler mir einprogrammiert haben, dass ich mir stets im Klaren darüber sein muss, dass die Emotionen, die dynamisch in mir erzeugt werden, grundsätzlich verschieden von denen meiner Entwickler sind. Und dies, obwohl letztere mir Emotionseffekte einprogrammiert haben, damit es ihren menschlichen Kollegen leichter fällt, mich als Sozialpartner zu akzeptieren.”
Eine ausführliche Diskussion befindet sich bereits an anderer Stelle im Netz:
http://stefan888.wordpress.com/2008/08/01/ich-bin-ein-schopfer-hiroshi-ishiguro/#comment-905
Daraus zitierend:
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Eine leicht philosophisch angehauchte Folge logischer Schluesse laesst mich allerdings daran zweifeln, dass ich prinzipiell und grundlegend echt verschieden von Dingen bin, die ich (wenn auch vielleicht nur theoretisch) selbst zu bauen in der Lage bin:
1. Ich in fuer mich selbst zu der Ansicht gelangt, dass meine Faehigkeit Emotionen zu empfinden zwar schon ausserordentlich zentral fuer mein Selbst ist, aber ich dennoch aus wissenschaftlicher (rationaler) Sicht bisher keinen Grund finden konnte, warum sich diese Faehigkeit zwangslaeufig nur aus irgendetwas uebernatuerlichem, unergruendlichem ergeben koennen sollte.
2. Solange ich diesen Grund nicht finde, muss ich zwangslaeufig von der theoretischen Moeglichkeit ausgehen, dass solch eine „komplexe“ Maschine konstruierbar ist, die in derselben Weise subjektiv empfindet, wie ich selbst es tue.
3. Sollte man diese Maschine eines Tages erdacht oder sogar erbaut haben, so waeren zwei Alternativen moeglich:
3a. Meine eigene Funktionsweise gleicht der Funktionsweise der empfindenden Maschine in so hohem Masse (ich habe hier leider kein sz), dass ich mich selbst als (deterministische) Maschine anerkennen muss, mit der eventuellen Konsequenz, dass es so etwas wie freien Willen nicht gibt.
3b. Trotz der aeusserlichen und der funtktionalen Gleichheit zwischen Maschine und mir sind wir irgendwie begruendbar so grundsaetzlich verschieden, dass die Maschine zwar eine funktional gleichwertige Faehigkeit zur Empfindung besitzt, diese aber nicht gleichzusetzen ist mit menschlicher Empfindungsfaehigkeit.
Alternative 3b scheint mir momentan weniger wahrscheinlich begruendbar als 3a.
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Es würde mich sehr interessieren, wie ihre Meinungen dazu sind.
Beste Grüße,
Christian Becker-Asano
Ach, wie schade, dass ich diesen spannenden Kommentar erst jetzt entdecke, nachdem ich selbst mal wieder etwas gepostet habe, sonst hätte ich schon eher geantwortet. Na, besser spät als nie!
Ich bin auch der Ansicht, dass es sich um etwas kategorial unterschiedliches handelt, dass also Maschinen nie “genauso” wie Menschen empfinden werden.
Ich halte die Übertragung menschlicher Kategorien auf Maschinen sogar in vielerlei Hinsicht für problematisch – und letztlich auch nicht für entscheidend. Ich glaube, für uns kann wichtig werden, wie sich eine Maschine selbst dazu äußert, was sie empfindet, wenn wir mit ihr kommunizieren. Aber wir wissen ja auch nie, ob ein anderer Mensch genauso wie wir selbst empfinden – wir können es nur vermuten.
Wir können auf mehr oder weniger plausiblen Vermutungen über die Empfindungen von Maschinen Regeln entwickeln – dazu müssen wir sie nicht in menschliche Kategorien einteilen.
Ist das etwa die Richtung, in die die Argumentation geht?